Wirtschaft – aufgepasst


    Die Stimme der KMU und der Wirtschaft


    (Bild: zVg) Henrique Schneider

    Bellevue Palace in Bern: Im fünf Sterne Hotel verkehren die «Mehrbesseren». Dort munitionieren sie ihre Lobbyisten auf. Dort empfangen sie die Politprominenz des Landes. Zwischen Niedergar und Protz wird eines klar: Im Bellevue Palace sind Menschen nicht willkommen.

    Denn wer sich in die Lobby des «Möchtegern-Nobelhauses» niederlassen und einen Kaffee trinken will, bekommt es zu spüren. Sofort rennen Kellner auf einem zu. Nicht etwa, um zu bedienen. Sondern um zu befehlen. Jacken dürfen nicht über die Möbel gelegt werden; Taschen dürfen nicht auf die Möbel deponiert werden.

    Warum? In der Lobby sollen die Möbel zum Vorschein kommen. Man soll Möbel sehen. Die Botschaft des Talmis könnte nicht deutlicher sein: Möbel hui, Menschen pfui.

    Dass die Entourage des Bellevues den Glanz ihrer Möbel über den Komfort ihrer Gäste stellt, spricht Bände. Es stellt stellvertretend für vieles, was heute in der Wirtschaft schiefläuft. Wirtschaften bedeutet, sich auszutauschen. Das gelingt aber nur, wenn man einander eine Freude machen will. Und man kann einander nur eine Freude machen, wenn man sich gegenseitig wertschätzt.

    Wertschätzung ist Wertschöpfung. Wertschätzung heisst, die Bedürfnisse des Geschäftspartners in den Mittelpunkt zu stellen. Denn je besser diesen Bedürfnissen entsprochen wird, desto zugeneigter der Partner. Konkret: Desto mehr Geschäfte macht man mit ihm.

    In vielen Bereichen ist die Wirtschaft jedoch entmenschlicht. Immer öfters geben Unternehmen ihren «Systemen» den Vorzug. Von den Kunden und anderen Geschäftspartnern verlangen sie bedingungslose Anpassung. Informatik-Systeme, Regelsysteme und Designsysteme sind etwa in Banken, im Detailhandel oder in Hotels wichtiger als die Kunden.

    Diese Entmenschlichung ist gefährlich. Mit ihr gehen positive Emotionen verloren. Dadurch werden aus Sympathien und Identifikation, Neutralität und Austauschbarkeit und dann sogar Ablehnung und Verachtung. Letztlich führt die Entmenschlichung zur Entfremdung von Wirtschaft und den Menschen.

    Für die Betriebe ist das besonders schade, weil ihre Marge geringer wird. Für die Volkswirtschaft ist das besonders problematisch, weil ihre Wertschöpfung gemindert wird. Die wichtigste negative Konsequenz trägt aber die gesamte Wirtschaft als Gruppe in der Gesellschaft. Das Verständnis für ihre Anliegen geht verloren und sie vergrault Verbündete.

    Die letzten Abstimmungen sind ein deutlicher Fingerzeig. Die Bevölkerung bezieht die Interessen der Wirtschaft immer weniger in ihre Erwägungen ein. Früher herrschte ein Konsens über die ordnungspolitische Überzeugung. Die Bevölkerung stimmte wirtschaftsfreundlich. Heute bestimmt eher eine instrumentelle Überlegung den Entscheid an der Urne. Man stimmt für das, was einem am meisten nützt.

    Dabei bildet die Bevölkerung nur die zunehmend instrumentelle Logik der Wirtschaft ab. Die Betriebe entmenschlichen die Geschäftspartner und degradieren sie zum Mittel zum Zweck. Warum sollen Kunden nicht das Gleiche tun? Wenn sie nicht geschätzt werden, müssen sie selbst die Betriebe auch nicht wertschätzen. Natürlich achten sie dann auch nicht mehr auf die Anliegen der Gesamtwirtschaft.

    Die Verantwortung der Wirtschaft für das Land wird in jedem Austausch mit den Kunden erneut auf die Probe gestellt. So wird auch ihre Legitimität. Und sie ist gut beraten, die jüngsten Zeichen in den Volksabstimmungen sehr ernst zu nehmen. Die Kunden sehen sich entmenschlicht und wenden sich gegen die Betriebe.

    Das ist alles kein Wunder: Wenn derart deutlich gemacht wird, dass man als Mensch weniger Wert ist als ein Möbelstück, sollte man von der Bevölkerung auch keine Unterstützung erwarten. Die Bevölkerung macht nämlich das gleiche wie der brüskierte Bellevue-Gast: Sie läuft davon.


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    Zur Person:
    Henrique Schneider ist Verleger der «Umwelt Zeitung». Der ausgebildete Ökonom befasst sich mit Umwelt und Energie aber auch mit Wirtschafts- und internationaler Politik.

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